Die Zärtlichen. Roman by Alexander Ziegler

Die Zärtlichen. Roman by Alexander Ziegler

Autor:Alexander Ziegler [Ziegler, Alexander]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783105604519
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2015-12-26T16:00:00+00:00


17

In der Polizeikantine an der Kasernenstraße wartete Staatsanwalt Zbinden geduldig auf die Ankunft der beiden Frauen.

Es war um diese Zeit noch ruhig im Haus, nur ein paar Polizeibeamte, die um sieben zur Frühschicht antreten mußten, hockten vereinzelt an den kleinen Tischen, verschlangen gierig ein Brötchen und tranken dazu ihren Milchkaffee.

Zbinden trug an diesem Montagmorgen seinen dunkelblauen Anzug, den ihm seine Frau noch am Sonntagabend zu später Stunde frisch gebügelt hatte, dazu eine silberfarbene Krawatte. Insgeheim rechnete der Staatsanwalt nämlich damit, daß er noch im Laufe des Tages mit Pressevertretern zusammentreffen würde. Dann bestand die Möglichkeit, daß man ihn fotografierte, und er wollte natürlich einen gepflegten Eindruck machen. Für Staatsanwälte, die im Rollkragenpullover oder gar im offenen Hemd zu einer Pressekonferenz kamen, hatte er nie viel übrig gehabt.

Zbindens natürlicher Ehrgeiz und nicht zuletzt auch sein Verantwortungsbewußtsein hatten ihm vorgeschrieben, die Ermittlungen im Mordfall Neidhard, wie schwierig sie auch immer verlaufen mochten, noch heute zu einem befriedigenden Abschluß zu führen. Als Staatsanwalt wußte er nur zu gut, daß die Öffentlichkeit gerade bei Tötungsdelikten – zu Recht übrigens – auf eine rasche Aufklärung drängte, und weil er an seinen eigenen Fähigkeiten noch nie gezweifelt hatte, sah er sich durchaus in der Lage, diese Aufgabe zu erfüllen. Zbinden erinnerte sich an zwei viel kompliziertere Fälle, die er in noch kürzerer Zeit aufgeklärt hatte und dafür sogar von den linken Medien gelobt worden war.

Der Staatsanwalt frühstückte gemeinsam mit Schlumpf, den er als Mensch zwar nicht ausstehen konnte, weil er ein Arschlecker und Opportunist war, einer der – wie Kommandant Krummenacher immer zu sagen pflegte – »zahlreichen Schleimscheißer an der Kasernenstraße«, aber der Detektiv war ihm als Protokollführer zugeteilt, daran ließ sich jetzt nichts mehr ändern.

Schlumpf gehörte mit seinen knapp vierzig Jahren zu jenen Beamten, die durch ihr Halbwissen unangenehm auffallen. Er konnte kein Fachgebiet für sich beanspruchen, er fühlte sich bei der Verkehrsabteilung ebenso heimisch wie bei der Sitte oder beim Morddezernat. Er wußte über alles immer genauestens Bescheid und hatte im Grunde von nichts eine Ahnung.

Während des Frühstücks führte Zbinden mit Schlumpf eine eher einsilbige Konversation, die sich fast nur auf die schon seit Jahren dringend notwendige Renovierung der Polizeikantine beschränkte, und erst als Norbert Hüppi, der Chef der Verkehrspolizei, dem Staatsanwalt mit einem selbstgefälligen Lächeln die neueste Ausgabe des MORGENEXPRESS überreichte, nahm das Gespräch eine Wendung.

Fossatis Berichterstattung, in der einmal mehr unbestätigte Vermutungen geschickt mit Tatsachen vermengt waren, erstaunte Zbinden in keiner Weise. Im Gegensatz zu Justizdirektor »Biss-Biss« ärgerte er sich auch nicht über den Artikel, selbst wenn man gewisse Äußerungen in dem Bericht durchaus als Angriff gegen die Staatsanwaltschaft auslegen konnte.

Allerdings war Zbinden nicht unglücklich darüber, daß er sich noch am Sonntag – übrigens gegen den Willen des Kommandanten – für die sofortige Festnahme der beiden Lesbierinnen entschlossen hatte. Sonst wäre er sich jetzt ziemlich tölpelhaft vorgekommen, nachdem der MORGENEXPRESS bereits die Täterschaft dieser Gerda Roth proklamierte, und wahrscheinlich hätte er sich sogar auf die üblichen Vorwürfe aus dem Lager der Sozialdemokraten gefaßt machen müssen, die ihm bei jeder nur denkbaren Gelegenheit »Begünstigung« oder sogar »Amtswillkür« zu unterstellen versuchten.



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